Expertengespräch über Depressionen zur Weihnachtszeit, deren Ursachen, Folgen und psychologischen Behandlungsmöglichkeiten der heutigen Zeit
Dr. Lars Pracejus, Psychologe und Hypnotherapeut aus Gießen
(KHN – Krzikalla, Gießen, den 10.12.2011) Die Weihnachtszeit, das Fest der Liebe und des Miteinanders – doch sieht die Realität wirklich so aus, oder birgt gerade das Weihnachtsfest soziale Gefahren, die zu übermäßigem Leid und Kummer führen und im schlimmsten Fall zu einer Depression? Zu einer Zeit, zu der für gewöhnlich Frieden, Harmonie und ein familiärer Umgang einkehrt, ziehen sich jedoch immer mehr Menschen zurück, schotten sich ab und verfallen nicht zu selten in eine „weihnachtliche Depression“. Unser Experte zu diesem Themenbereich – Dr. Lars Pracejus, Psychologe und Hypnotherapeut aus Gießen.
KnowHowNow
Herr Dr. Pracejus, würden Sie aufgrund Ihrer Erfahrung in der Psychotherapie bestätigen, dass an dem Begriff „weihnachtliche Depression“ etwas dran ist? Und wenn ja, gibt es einen fachlichen Ausdruck hierfür?
Dr. Lars Pracejus
In der Psychotherapie sprechen wir von einer „Saisonalen Depression“, d.h. es geht um die kalte, dunkle Jahreszeit. Natürlich fällt das Weihnachtsfest dort mitten hinein, sogar direkt um den Zeitpunkt der längsten Nacht.
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Worin unterscheidet sich diese Art von Depression von den anderen?
Dr. Lars Pracejus
Es gibt beispielsweise reaktive Depressionen, die direkt an einer psychologischen Ursache festgemacht werden, wie einer Trennung, einem einschneidenden Lebensereignis, oder anderem. Depressive Episoden können aber auch endogen sein, das heißt aus sich selbst heraus. Dann liegt kein erkennbarer äußerer Auslöser vor. Hierbei werden in der Medizin hormonelle Irritationen diskutiert, wie eine Veränderung im Dopamin- oder Serotoninhaushalt.
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Stimmt es, dass hierbei alleinstehende oder alte Menschen öfter betroffen sind
und bietet das Beisammensein mit der Familie einen Schutz?
Dr. Lars Pracejus
Stabile soziale Strukturen wirken immer wie ein schützendes Netz, sogar bei verschiedenen psychischen Belastungen und Störungen. Wenn sich im Alter soziale Strukturen reduzieren, schränkt sich auch diese Schutzfunktion ein.
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Sind es zu hohe Erwartungen an Harmonie und Geschenke, welche sich für die
Menschen belastend auswirken?
Dr. Lars Pracejus
Die innerfamiliäre Harmonie ist zur Weihnachtszeit einer besonderen Belastung ausgesetzt. Jetzt, wo die Familie endlich mal um einen Tisch sitzt, was im Arbeitsalltag nur schwer zu erreichen war, kann endlich mal das nagende Thema geklärt werden, was schon lange besprochen werden sollte. Nicht selten kommen hier zu schwere Themen auf den Tisch, die von den Beteiligten schon lange gescheut wurden, weil abzusehen war, dass sich nicht alle Familienmitglieder darüber einig sind. Gerade Themen wie Erbschaft, Nachlassverwaltung, oder Geschäftsanteile der Familienfirma bergen explosives Potenzial.
Die Inflation der Geschenke ist ein eigenes Thema und ein gesamtgesellschaftliches Problem. Hiervon kann sich die Familie im Vorfeld des Weihnachtsfestes in Absprache frei machen. Es müssen sich dann aber auch alle daran halten. Werbeslogans wie „Weihnachten wird unterm Baum entschieden“ helfen uns dabei nicht.
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Spielen hierbei die Medien, welche ein vorgefertigtes Bild von einer „perfekten
Weihnacht“ hervorrufen eine bedeutende Rolle?
Dr. Lars Pracejus
Die Medien beeinflussen unsere Erwartungen immer. Gerade zur Weihnachtszeit werden uns viele gefühlsschwangere Szenarien vorgesetzt. Die perfekte Weihnacht gibt es nicht. Wir müssen sie selbst definieren. Wenn wir uns mit jenen Menschen umgeben die wir lieben und uns im Zusammensein gut fühlen, ist die Weihnacht perfekt genug.
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Haben Sie beobachtet, dass Menschen, die allgemein anfällig für Depressionen
sind und unter diesen leiden, auch während der Weihnachtszeit besonders belastet
werden?
Dr. Lars Pracejus
Das größte physiologische Problem ist im Winter unser Melatoninhaushalt. Es steuert unseren Tag-Nacht-Rhythmus und ist lichtabhängig. Wenn wir also weniger Tageslicht empfangen, dann regelt sich das System herunter und wir neigen zu mehr Schlaf, Ruhebedürfnis und Erholung. Früher lebten die Menschen mehr im Einklang mit der Natur und den Tages- und Jahreszeiten. Die moderne Welt, das künstliche Licht und z. B. Schichtarbeit versuchen diese Rhythmen zu übergehen. Leider gelingt uns das nicht und wir bekommen es durch vermehrte Erschöpfung oder saisonale Depression zu spüren.
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Woran können Betroffene merken, dass sie an einer Depression leiden?
Dr. Lars Pracejus
Typische Kriterien sind Antriebsverlust, Freudlosigkeit, vermehrtes Schlafbedürfnis, Appetitlosigkeit, Libidoverlust. Allerdings muss eine Kombination dieser Symptome für eine gewisse Zeit vorliegen, um zur Diagnose „Depression“ zu kommen. Wir sollten das nicht verwechseln mit einer allgemeinen Reduktion von Aktivität, die für die Winterzeit ganz natürlich ist.
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Wann lohnt sich die professionelle Hilfe und welche Institutionen kommen hierfür
in Frage?
Dr. Lars Pracejus
Professionelle Hilfe ist immer angeraten, wenn ein Leidensdruck entsteht und die eigenen Mittel nicht mehr ausreichen um diesen zu reduzieren. Listen von ambulant arbeitenden Psychologen und Praxen für Psychotherapie finden sich im Branchenbuch oder können über die Krankenkasse angefordert werden.
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Was kann man aus psychotherapeutischer Sicht gegen diese Art von Depression zur
Weihnachtszeit tun?
Dr. Lars Pracejus
Umgeben Sie sich mit jenen Menschen, die Ihnen gut tun, bleiben Sie nicht allein. Weihnachten definiert sich nicht durch Geld oder Konsum, sondern durch die Qualität der zwischenmenschlichen Interaktionen. Organisieren Sie ihr Weihnachtsfest so, dass es Ihnen gut tut.
Für die biologische Seite empfehle ich möglichst viel von der hellen Tageszeit zu nutzen und tagsüber „rauszugehen. Bewegung an der frischen Luft, Spaziergänge und Sport helfen den Kreislauf zu aktiveren. Besonders beeinträchtigte Menschen können die dunkle Jahreszeit abhängig von finanziellen und zeitlichen Mitteln auch durch eine Flucht in sonnenreiche Regionen unterbrechen.
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Warum gerade Weihnachten? Oder sind andere religiöse Feiertage wie
beispielsweise Ostern auch eine Zeit, in der sich Betroffene zurückziehen?
Dr. Lars Pracejus
Das passiert statistisch eher selten. Zwar ist auch hier die Gefahr familiärer Klärungsgespräche gegeben, aber der statische Durchschnitt der Bevölkerung ist angesichts des aufblühenden Frühjahrs eher zuversichtlich und gewinnt an Kraft und Lebensfreude zurück.
KnowHowNow
Wir danken Ihnen für das Gespräch mit KnowHowNow und die reichlichen Informationen zum Thema, Herr Dr. Pracejus!
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Im Gespräch Dr. Lars Pracejus. Praxis: Südanlage 12, 35390 Gießen. Diplom-Psychologe aus Gießen und Spezialist für Psychotherapie und Hypnotherapie, Hessen. Promotion (rer. nat.) und Studium der Psychologie und Medizin an der Justus Liebig Universität Gießen.
Interviewkennung bei Rückfragen an KnowHowNow: med/0011
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