„Unterschichtsfernsehen“ ist in zweihundert Jahren Hochkultur

„Das Dschungelcamp ist so kulturelle Leistung sein, wie die Sixtinische Kapelle“. Ein Soziologe über den Selbsthass der Kulturbourgeoisie.

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Sacha Szabo im Gespräch

Aktuell laufen auf den Programmplätzen erfolgreich TV-Formate, die immer ähnliche ablehnende Reaktionen hervorrufen. Es scheint ein Paradox zu sein. Menschen sehen dass, was sie eigentich ablehnen. Wir sprachen darüber mit dem freiburger Soziologen und Unterhaltungswissenschaftler Dr. Sacha Szabo.

Warum sehen so viele Menschen Formate wie „Ich bin ein Star, holt mich hier raus, Deutschland sucht den Superstar oder Biggest Looser?“ Es scheinen sehr niedere Instinkte zu sein die dort angesprochen werden und diesen Sendungen zum Erfolg verhelfen.

Szabo: Natürlich müssen diese Formate etwas haben, das Sigmund Freud als „Verlockungsprämie“ bezeichnete. Es muss etwas sein, dass das Triebhafte in uns anspricht und es uns ermöglicht dieses Triebhafte in entschärfter Form auszuleben. Auf diese Weise entsteht – so Freud – Kultur.

Es mag Kultur sein, aber Qualität haben diese Formate nicht.

Szabo: Ich bin mir nicht sicher was Qualität bedeutet. Bedeutet es, dass nur elitäre Gruppen zu einem raren Gut Zugang haben? Dann haben diese Sendungen keine Qualität. Aber man muss sich auch fragen, ist die Kultur jetzt all denen zugänglich, die eben die entsprechenden Mittel haben? Deshalb spricht man so abfällig von „Unterschichtfernsehen“ und bringt es oft polemisch mit Hartz IV in Beziehung.

Sie sprechen es an, manche dieser Formate erfüllen doch stark das Klischee vom Unterschichtfernsehen.

Szabo: Nun, der Schichtbegriff ist eigentlich heutzutage nicht mehr praktikabel, eigentlich spricht man von Milieus. Aber wenn man wirklich in Schichten denken mag, dann gibt es eine winzige Schicht die wirklich zur Oberschicht gehört. Das sind die Gruppen, die über die ökonomischen Ressourcen gebieten. Es sind verschwindend wenige Personen, die über ein riesiges Vermögen verfügen, das eigentlich gar nicht vorstellbar ist. Dort konvergiert ökonomisches Kapital in politisches. Aber diese Personen sind gar nicht bekannt.

Und welche Kultur konsumieren diese Kreise?

Szabo: Da man die Personen nicht kennt, kann man eigentlich nur spekulieren. Sofern es keine Parvenüs sind, ist es tradiertes Kapital. Heißt, es wird vielleicht sogar seit Jahrhunderten konserviert und entsprechend wird die Unterhaltungskultur dieser Jahrhunderte Konserviert. Das nennt man dann klassische Musik.

Aber viele hören doch Klassik.

Szabo: Der Unterschied ist, dass das Bürgertum, das verbissen danach drängt Lebensweisen der herrschenden Klasse zu adaptieren und nun glaubt die sogenannte E-Kultur als ernsthafte Kultur sei etwas anderes als Unterhaltungskultur verkennt aber, dass alles was mit todernster Miene angehört und angesehen wird, eben vor zweihundert Jahren auch nur Unterhaltungsmusik war. Nur steckten diese Stücke noch nicht in der Jukebox oder im MP3Player.

Klassik als Unterhaltungskultur?

Szabo: Ich bin mir nicht mal sicher, ob die Kulturbourgeoisie überhaupt Freude an dem Genuss dieser Kultur empfindet. Überhaupt nicht. Aber ich will den heutigen Unterhaltungsformaten auch den Status von Kultur zusprechen. Es ist letztlich ein sozialer Akt der Distinktion.

Was meinen Sie damit?

Szabo: Bestimmte Codes, also bestimmte kulturelle Symbole, Musik, Bilder, Wissen wird genutzt, um sich von anderen abzugrenzen. Die Mittelschicht wird von ökonomischer Verarmung bedroht und will nun auch nicht noch kulturell mit der „Unterschicht“ eins werden. Wobei hier ja auch spannend ist, dass einkommensfern oft mit bildungsfern gleichgesetzt wird, was nun gar nicht stimmt. Nur sind die Bildungsträger eben auch nicht der Oberschicht zuzurechnen und waren das auch nur selten. Selbst Voltaire wurde von Friedrich als Hausphilosoph ausgehalten. Ein Objekt im adligen Kuriositätenkabinett.

Das ist nun aber gewagt.

Szabo: Das Bürgertum konnte sich nun keinen Voltaire leisten und las diesen umso beherzter um. Das ist Bildungskonsum. Nun sehen wir, immer die untere Schicht versucht die Codes der über ihr liegenden Schicht zu übernehmen und sich gleichzeitig von der unteren Schicht abzugrenzen. Das Bürgertum will adlige Attitüden übernehmen und sich vom Proletariat abgrenzen. Genau das gleiche geschieht nun heute in der Massenkultur. Die Mittelschicht hofft verzweifelt zur Oberschicht zu gehören und konsumiert deren exklusiven Stil, popularisiert sie. Im nächsten Schritt werden diese nun mittelständischen Stile von der Unterschicht übernommen und die Mittelschicht versucht jetzt die Schotten dicht zu machen und sich von der Unterschicht abzugrenzen. Dies wird als absinkendes Kulturgut bezeichnet.
Viele Kulturgüter der Mittelschicht sind der Abfall der Oberschicht. Das betrifft Antiquitäten, ehemalige Objektensembles, die von der Oberschicht auf den Müll geworfen wurden und nun für die Mittelschicht noch von unschätzbarem Wert sind. Das betrifft auch Genussfreuden wie Weine, Speisen, Parfüms. Wir haben keine Ländereien, aber können uns immerhin einen teuren Wein leisten. Und alles was nicht exklusiv gilt, gilt nun als Unterschichtskultur.

Aber die Unterschicht steht ja diesem angeblichen Unterschichtsfernsehen durchaus auch kritisch gegenüber.

Szabo: Selbstverständlich, weil sich diese Schicht auch an der ihr übergelagerten orientiert und sich von sich selbst distanzieren will. Das eigene wird nicht wertgeschätzt und dafür wird nach bestimmten Codes, also nach bestimmten kulturellen Werten gestrebt, die Zugang zur Macht versprechen.

Und was ist die Unterschichtskultur?

Szabo: Das ist nun das Spannende. Wir haben eigentlich in der postindustriellen Gesellschaft in dem Sinne keine Schichten mehr. Vielmehr gibt es eine Masse, die sich in einzelne Milieus unterteilt. Dieser Masse entspricht nun eben Massenkultur. Die allerdings ein paradoxes Verhältnis dazu hat, als dass sie glaubt diese Kultur sei ihrem Status entsprechend nicht exklusiv genug. Eine Hybris die verkennt, dass nun eben die meisten der Mittelschicht oder laden wir es politisch auf, der Bourgeoisie ohne Zugang zur Macht sind und damit gar nicht die Vorbindung für Exklusivität erfüllen. Der Hass auf Massenkultur ist eigentlich pathologischer Selbsthass.

Also sind für sie diese ganzen strittigen Formate kulturell wertvoll.

Szabo: Als Wissenschaftler ganz ohne Frage. Kultur ist für mich immer die Kultur die mich umgibt, diese interessiert mich. Und in zweihundert Jahren werden Scooter oder Michael Wendler so selbstverständlich neben Mozart stehen, wie dieser heutzutage neben Corelli oder Locatelli. Und das Dschungelcamp gehört dann zu den großen kulturellen Leistungen wie die Sixtinische Kapelle.

Vielen Dank für das Gespräch

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