Nach der Ministerpräsidentenkonferenz: Liberale Bedenken gegen Glücksspielstaatsvertrag bleiben

Auch Online-Poker muss reguliert werden

Von Ansgar Lange +++ Berlin/München, April 2012 – Die Auseinandersetzung um den Glücksspielstaatsvertrag geht in die nächste Runde. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) hat nach der Pressekonferenz der Ministerpräsidentenrunde am 29. März den Mund sehr voll genommen. „Wir sehen überhaupt nicht, dass es zu einem Vertragsverletzungsverfahren kommen kann“, so Beck, der sich augenscheinlich auch von dem letzten kritischen Brief der EU-Kommission zum Entwurf eines neuen Staatsvertrags äußerlich unbeeindruckt zeigt. Man brauche auch keinen „Plan B“. Zur Überraschung vieler hatte die Ministerpräsidentenkonferenz – mit Ausnahme Schleswig-Holsteins, das ein eigenes, europarechtskonformes Gesetz verabschiedet hat – ohne viel Federlesens dem neuen Glücksspielstaatsvertrag ihren Segen gegeben. Nun müssen die 15 Länderparlamente über den Vertrag abstimmen. Gegenüber der Welt http://www.welt.de zeigte sich der SPD-Politiker zuversichtlich, dass er auch beschlossen werde. Er soll am 1. Juli in Kraft treten. Der auf Glücksspielrecht spezialisierte Rechtsanwalt Damir Böhm http://www.kartal.de wertete die Aussagen Becks als „eine absolute Dickfelligkeit“. Der Ministerpräsident, dem eine gewisse Amtsmüdigkeit nachgesagt wird, hoffe wohl, dass Schleswig-Holstein auf den Zug aufspringe, „wenn nicht jetzt, dann nach der Landtagswahl“.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) zeigte sich vom Votum der übrigen 15 Bundesländer ebenfalls unbeeindruckt. Er bekräftigte nochmals die ablehnende Haltung gegen einen Vertragsentwurf, der nach der Einschätzung von Experten nicht europarechtskonform ausfällt: „Jetzt stellt sich die Frage der Ratifizierung des Änderungsstaatsvertrages durch die Landesparlamente. Regierung und Regierungsfraktionen in Schleswig-Holstein haben nach wie vor erhebliche Zweifel an der EU-Rechtskonformität des Glücksspiel-Staatsvertrags“, so der Christdemokrat. Nach wie vor halte sich die EU-Kommission die Möglichkeit vor, gegebenenfalls Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einzuleiten.

Deutlich verhaltener als Beck äußerte sich die bayerische FDP-Politikerin Julika Sandt http://www.julika-sandt.de. „Ein Staatsvertrag ist selten ein Grund zum Jubeln“, so die liberale Landtagsabgeordnete. „Schließlich handelt es sich nicht nur um einen Kompromiss zwischen zwei Parteien, sondern um einen Kompromiss, an dem im Falle des Glücksspieländerungsstaatsvertrags 15 Landesregierungen in verschiedenen Koalitionen beteiligt waren. Alles in allem ist der Glücksspieländerungsstaatsvertrag aber ein Schritt in die richtige Richtung, zumal Sportwetten nun erlaubt sind.“

Warum werden Online-Poker und Casinospiele nicht zugelassen?

Allerdings machte Julika Sandt auch klar: „Im nächsten Schritt ist zu prüfen, ob Spielsucht und Betrugsgefahr tatsächlich erfordern, Online-Poker und Casinospiele nicht zuzulassen. Wenn dies nicht einwandfrei nachweisbar ist, sind diese Spielarten mit dem zweiten Glücksspieländerungsstaatsvertrag zuzulassen.“ Auch Vertreter der hessischen FDP-Fraktion hatten zuvor moniert, dass es für das Verbot von Online-Spielen keine Begründung gäbe. Damit liegen sie auf einer Linie mit der EU-Kommission, der zufolge eine Ungleichbehandlung von Glücksspielen mit ähnlichem Suchtpotential nicht gerechtfertigt sei, da Belege und wissenschaftliche Grundlagen für diese Ungleichbehandlungen fehlten. Wissenschaftlich untermauert wird diese Sichtweise durch eine aktuelle Studie http://www.it-tuv.com/news/online-poker-texas.html des Forschungsinstituts für Glücksspiel und Wetten im Auftrag der neutralen und unabhängigen TÜV TRUST IT GmbH Unternehmensgruppe TÜV AUSTRIA. Online-Poker Texas Hold’em, so ein zentraler Befund dieser Untersuchung, birgt – wie die Sportwette auch – nur mittleres Risiko. Aufgrund dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse erscheint es nicht nachvollziehbar, dass Online-Poker in Deutschland – mit Ausnahme des Bundeslandes Schleswig-Holstein – bis heute nicht reguliert ist. Dabei ist der deutsche Markt für Online-Poker der zweitgrößte der Welt.

Sandt wies auf diese Problematik in einer Plenarrede im Münchener Landtag jüngst hin: „In Deutschland haben wir ein Glücksspielmonopol, das viele Bürger umgehen, indem sie per Internet bei ausländischen Anbietern spielen. Die Goldmedia-Studie „Glücksspielmarkt Deutschland 2015″ beziffert den Anteil ausländischer Unternehmen am deutschen Glücksspielmarkt je nach Spielart auf bis zu 90 Prozent. Das Geld fließt auf die Cayman Islands oder nach Gibraltar an Spieleanbieter ohne Auflagen bezüglich Jugendschutz, Suchtprävention und ohne Manipulationskontrolle.“

EU: Gefahr von Casino-Spielen muss bewiesen werden

Ob der Staatsvertragsentwurf der 15 Bundesländer wirklich in Europa juristisch Bestand haben wird, daran existieren erhebliche Zweifel. Denn die Kommission wird ganz genau prüfen, ob die Konzessionen transparent und diskriminierungsfrei vergeben werden. Frau Sandt weiß um diese offene Flanke des Entwurfs der 15, dem allerdings auch Bayern in der Ministerpräsidentenkonferenz jüngst zugestimmt hat. Die Nicht-Freigabe von Casinospielen im Internet werde von der Kommission kritischer gesehen: „Deutschland wird aufgefordert, entsprechende Nachweise zu erbringen, dass die Spielsucht und Betrugsgefahr tatsächlich erfordert, diese Spielarten nicht zuzulassen. Deutschland muss dieser Anforderung der Kommission nachkommen! Wir haben von Anfang an darauf gedrängt, dass der Vertrag europarechtskonform ist. Deshalb haben wir unsere Zustimmung auch nur unter dem Vorbehalt der Notifizierung durch die EU-Kommission gegeben.“

Gegenüber dem Hessischem Rundfunk http://www.hr1.de äußerte sich der Glückspielrechtsexperte Dr. Wulf Hambach kurz nach dem Beschluss der Ministerpräsidenten in Berlin: „Dem Bürger ist nicht erklärbar, warum ein offiziell EU-rechtswidriger Gesetzesentwurf, nämlich der der 15 Bundesländer, ein offiziell EU-konformes Gesetz – das Glücksspielgesetz Schleswig-Holsteins – verdrängen sollte. Europarecht sollte niemals ein Spielball der Politik werden“, so warnt der Münchner Jurist, Gründungs- und Managing Partner der Kanzlei Hambach & Hambach http://www.timelaw.de gegenüber HR 1.

Dass Kurt Beck keinen „Plan B“ in der Tasche hat, könnte sich also noch rächen. Es sei denn, man betrachtet das Kieler Gesetz als einen solchen Plan B, auf den man nach der nächsten sicheren juristischen Ohrfeige aus Brüssel setzen kann. Doch mittlerweile ist die Diskussion über den Glücksspielstaatsvertrag so ideologisiert worden, dass das Umschwenken auf eine praxistaugliche Lösung à la Schleswig-Holstein von Beck und Co. offenbar als Gesichtsverlust gesehen wird. Dabei ist der Irrtum an sich nicht schlimm. Schlimm ist, wenn man sehenden Auges das erkennbar Falsche tut.

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