Energieberater fordern: Einstellung zu Dämmung überdenken!

Was lernen wir aus dem Hochhausbrand im Greenfell-Tower?

In Deutschland wurde kurz nach dem verheerenden Hochhausbrand im Londoner Greenfell-Tower die Sicherheit von gedämmten Gebäuden komplett in Frage gestellt. Polystyrol an deutschen Gebäudefassaden wurde mit allen Mitteln angegangen.
Wissenschaftler und Experten im Bereich der Gebäude-Energieberatung hatten die unreflektierte Berichterstattung bereits damals als unsachlich und falsch kritisiert. Nun werden sie durch die Londoner Untersuchung bestätigt. Gut ein Jahr nach dem Londoner Hochhausbrand im Juni 2017 gibt es mittlerweile erste vorläufige Ergebnisse. Die britische Untersuchungskommission, die weiterhin Ursache und Hergang des Brandes in London analysiert, wertete bislang mehrere hunderttausend Dokumente aus. Sie hörte Experten und Feuerwehrleute und sichtete Bild- und Videomaterial.

Das Fazit: Ausschlaggebend für die schnelle Ausbreitungsgeschwindigkeit des Feuers war demnach die Wetterschutzverkleidung aus Aluminium und Polyethylen (PE) in Verbindung mit ihrer Hinterlüftung. Zusätzlich wurde von erheblichen Brandschutzmängeln die Ausbreitung des Feuers und die Entstehung weiterer Brände in dem Gebäude begünstigt.

Auch der Vorstand des Deutschen Energieberater-Netzwerks appellierte schon damals, klare Ergebnisse und Fakten abzuwarten. Die DEN-Ingenieure suchten kurzerhand das Gespräch mit dem Direktor der Branddirektion in Frankfurt/Main, Prof. Reinhard Ries, der sich in Interviews kritisch zur bisherigen Verwendung von Polystyrol bei Fassadendämmungen geäußert hatte. Dipl.-Ing. Hinderk Hillebrands sprach dabei aus, was viele dachten: „Man hatte nach dem Großbrand sofort den Eindruck, dass alles auf die Fassade geschoben wurde, während die Brandlasten und vor allem der Brandauslöser – in London war es ein defekter Kühlschrank – in den Hintergrund rückten. Das wollten wir im Dialog mit Feuerwehrexperten richtigstellen.“

Denn nahm man die Medienberichte wörtlich, ergaben sich nicht nur für Energieberater und Feuerwehr Fragen wie diese.

Ab sofort nicht mehr dämmen – trotz Klimawandel?

Auch für die Feuerwehren seien energetische Maßnahmen aus Gründen des Klimaschutzes wichtig. Man könne schon jetzt die Auswirkungen der Klimaveränderungen spüren. Im Gespräch mit den Energieberatern des DEN unterstrich Prof. Ries, dass es vielmehr um einen sinnvollen Brandschutz am und im Gebäude gehe und dabei besonders die Geschwindigkeit des Abbrennens ausschlaggebend sei.

Überhaupt keine brennbaren Materialien beim Bau von Gebäuden verwenden?

Bei dem Gespräch zeigte sich, dass es nicht sinnvoll ist, per se nur noch nicht brennbare Materialien im Gebäudebau zu verwenden. In Deutschland sind bei Hochhäusern mit über 22 Meter Höhe, nicht brennbare Materialien für Wärmedämmungen bereits vorgeschrieben. Prof. Ries begrüßte damals grundsätzlich den Einsatz von nicht brennbaren Materialien im Erdgeschoss sowie von Brandriegeln zwischen jedem Geschoss für alle Objekte, die nicht als Hochhäuser gelten. Darunter fallen Gebäude mit einer Höhe von 7 bis 22 Meter.
Der Einsatz nicht brennbarer Dämmungen im Fassadenbereich ist vordringlich eine Frage des Preises, denn Wohnen soll bezahlbar sein – und Schaumstoffe wie EPS (Styropor) sind nun mal die preislich günstige Variante. Und man muss weiter differenzieren: Denn Dämmung kommt nicht nur im Fassadenbereich zum Einsatz: Bodenplatte, Keller, oberste Geschossdecke oder Dach gehören ebenfalls zur Gebäudehülle. Nicht jeder Dämmstoff ist in jedem dieser unterschiedlichen Bereiche einsetzbar. Etwa in der Bodenplatte liegen andere bauphysikalische Bedingungen vor. Brandgefahren treten in diesem Bereich in den Hintergrund, das Material muss hier vor allem extrem hohen Druck aushalten und feuchteresistent sein, die den Einsatz von Mineralwolle noch Ökodämmstoffen ausschließen.
Eine qualifizierte Bauberatung und -begleitung ist ohnehin unabdingbar. Nur so können die Vorteile energiesparender Maßnahmen und ausreichende Sicherheit im Brandfall gewährleistet werden. Da sind sich DEN-Ingenieure und Vertreter der Frankfurter Feuerwehr einig. Eine solche Baubegleitung bei Sanierung und Neubau kann durch KfW-Fördermittel mit 50 Prozent, maximal 4.000 Euro Zuschuss gefördert werden.

Rote Karte für leichte Holzkonstruktionen mit Zellulose-Dämmung für Staffelgeschosse?

Was man nicht vergessen darf: Berichterstattung in diesem Ausmaß führt zu realen Konsequenzen – Handlungen, Vorschriften und Kosten – für alle die bauen oder modernisieren wollen. Hillebrands weist erneut auf die Gefahr hin, dass durch die Novellierungen von Landesbauordnungen auf Grund mehrerer Brandfälle besonders nachwachsende Rohstoffe wie Holz und Zellulose möglicherweise nicht mehr für Gebäude mit Höhen von 7 bis 22 Meter verwendet werden dürfen. Bei einem solchen Verbot aber werde eine erwünschte bauliche Verdichtung durch Erstellung von Staffelgeschossen im Bestand verhindert. Nur durch den Einsatz nachwachsender Materialien wie Holz oder Zellulose werde Gewicht gespart, oftmals ist nur so eine Aufstockung im Bestand möglich. Ein grundsätzliches Verbot von normal entflammbaren Baustoffen wie Holzfasern im Gebäudebau würde sich aber auch insgesamt negativ auf die Betrachtungen von Lebenszyklen im Bau auswirken.

Wie sieht es mit dem Brandschutz eigentlich in unseren Wohnungen aus?

DEN-Landessprecher Rheinland-Pfalz und Brandmeister Dipl.-Ing. DietmarRieth betont vor dem Hintergrund der aktuellen Untersuchungsergebnisse, dassbei Bränden gerade die Brandlasten in den Wohnungen ausschlaggebend seien. Dervorbeugende Brandschutz ende in der Regel vor der Wohnungstür, so der Ingenieurund ehemalige Feuerwehrmann. Neben dem brennbaren Mobiliar seien insbesonderezunehmend schadhafte Elektrogeräte die eigentlichen Ursachen und Brandauslöser.In jüngster Zeit häuften sich durch die Internetbestellungen von billigenelektrischen Endgeräten die Brandgefahren dadurch, dass nicht korrektzertifizierte Importwaren aus Asien die europäischen Brandschutzvorschriftenunterlaufen und im Fehlerfall leicht Brände verursachen können. Riethkritisierte, dass es in dieser Hinsicht zu wenige behördliche Kontrollen „vor Ort“ gebe. Die Bundesnetzagentur, als zuständige Prüfbehörde für elektrischeEndgeräte in Deutschland habe diesen Weg „vom Internet zum Endkunden“ bishernicht im Visier. Das sind die Brandursachen und die eigentlichen Gefahren undnicht die Dämmstoffe, die immerhin schwer entflammbar sind, also schwerer alsjeder Schrank, jeder Teppich oder Gardine.

Was lernen wir aus dem Hochhausbrand im Greenfell-Tower?

Der DEN-Vorstand resümiert:
„Gründlichkeit geht auch hier vor Schnelligkeit. Es ist wichtig, immer wieder unsere Erkenntnisse und die am Bau verwendeten Materialien mit Blick auf Brandschutz und Brandsicherheit zu überprüfen. Es schadet dieser Sache aber, wenn ohne eingehende Untersuchung voreilige Schlüsse gezogen und Baustoffe verteufelt werden. Das schien hier vielfach der Fall zu sein beim Dämmstoff Polystyrol.“

Gerade in Zeiten der digitalen Medien und der Möglichkeit einer schnellen Berichterstattung ist es wichtig zu differenzieren. Aktionismus nach Ereignissen wie dem Londoner Hochhausbrand ist falsch. Berichten ja! Werten, schlussfolgern und mutmaßen auf Grundlage fehlender Fakten und ohne Hintergrundwissen – bitte nein!

Die Auswirkungen der Berichterstattungen sind weiterhin spürbar.

Bauherren zögern, energieeffiziente Bauvorhaben anzugehen – Planer, Fachbetriebe und Energieberater hingegen müssen Tag für Tag erklären und richtigstellen. Mögliche Einsparpotenziale im Bereich der CO2-Emissionen im Gebäudebereich bleiben brach liegen – Starkregenereignisse und Hitzeperioden nehmen hingegen weiter zu. Gesetze und Bauvorschriften werden verschärft – auch die Verwendung ressourceneffizienter, nachwachsender Rohstoffe wird mit über einen Kamm geschoren. Das bremst auch zukünftig neue Lösungen für den Wohnungsbau aus.

Mehr erfahren:

Der deutsche Brandschutzexperte Prof. Dr.-Ing. Michael Rieck hat die vorläufigen Ergebnisse in einem Bericht in der „Deutsche Feuerwehrzeitung“ zusammengefasst.

Dämmung war im Grenfell Tower nicht entscheidend
https://www.enbausa.de/daemmung/aktuelles/artikel/daemmung-war-im-grenfell-tower-nicht-entscheidend-6125.html

Verteufelung von Polystyrol-Dämmung überdenken! Grenfell-Tower:Untersuchung widerlegt undifferenzierte Kritik an Fassadendämmung
https://www.deutsches-energieberaternetzwerk.de/das-deutsche-energieberater-netzwerk-e-v/aktuelles/#presse

Über die Fachvereinigung für Extruderschaum

Die Fachvereinigung für Extruderschaum in Berlin ist ein kompetenter Ansprechpartner für Behörden und Institutionen in allen technischen Belangen zu XPS und zur Dämmung im Bauwesen im Allgemeinen.