Verordnete Lust: Zum Verkaufsstart von Addyi in den USA

Die rosa Pille soll Frauen die Lust zurückbringen. Sowohl das Konzept – Chemie gegen Unlust, verordnete Lust – als auch der Wirkstoff Flibanserin sind umstritten. Die Wirkung ist sehr begrenzt, wird allenfalls einem kleinen Teil der Anwenderinnen überhaupt nützen, und wird andererseits überschattet von Risiken und einschränkenden Anwendungsvorschriften. Zweimal hatte die US-Arzneibehörde FDA eine Zulassung des Medikaments abgelehnt. Im August wurde das Mittel nun doch zugelassen – von derselben Behörde und auf Grundlage desselben Wissenstandes.

Was war passiert? In der Zwischenzeit gab es keine neuen empirischen Daten, welche eine medizinische Neubewertung des Medikaments rechtfertigen würden. Aber es gab eine geschickte Propaganda, die Gleichberechtigung und political correctness einfordert. Nach den vielen sexualunterstützenden Medikamenten für den Mann sei es an der Zeit und ein Gebot der Fairness, auch den Frauen etwas anzubieten. Die Argumentation ist ebenso beharrlich falsch wie die Bezeichnung als „Viagra für Frauen“.

Viele Sexualwissenschaftler und Therapeuten sind nicht überzeugt, dass Addyi die Erwartungen erfüllen wird, weder unternehmerisch noch in seiner Wirkung. Das rechnet sich der Hersteller, Sprout Pharmaceuticals, offenbar ganz anders aus. Vorstandschefin Cindy Whitehead berichtet stolz, dass das Unternehmen seit der positiven FDA-Entscheidung 150 neue Mitarbeiter angeheuert hat – so viel qualifiziertes Verkaufs- und Marketingpersonal sei allein dafür nötig, um Addyi auf den Start im Handel vorzubereiten. Eine Herausforderung sieht Whitehead darin, dass sich die Kosten pro Frau auf 400 Dollar im Monat, also fast 5000 Dollar pro Jahr belaufen, weil Addyi täglich eingenommen werden muss. Der Konzern will die Krankenversicherer von einer Kostenübernahme aus medizinischen Notwendigkeit überzeugen, damit es für Kunden bei einer Selbstbeteiligung von nicht mehr als 30 bis 50 Dollar bleibt.

Etwas Gutes bringt das große öffentliche Echo auf die Lustpille jedenfalls schon jetzt, nämlich vermehrte Aufmerksamkeit für die Frage: Was bedeutet Sex zu haben – oder eben auch nicht – in der öffentlichen Meinung und für den Einzelnen und für jede einzelne konkrete Paarbeziehung? Was und wieviel will ich und brauche ich? Vor allem: was brauche ich wirklich? Was ist meins, was ist fremdbestimmt? Wer oder was macht mich glauben, Lust haben zu müssen? Habe ich aus guten Gründen keine Lust? Und wenn tatsächlich Frauen bzw. Paare bereit sind, Tausende Dollar für eine Lustpille hinzublättern, dann zeigt dies auch den Wert unseres Berufes als Paar- und Sexualtherapeuten, die wir die Paare darin unterstützen, genau diese Fragen für sich zu klären.

Übersicht: Die wichtigsten Anwendungsvorschriften:

  • Die Zulassung wurde beschränkt für erwachsene Frauen vor der Menopause.
  • Das Medikament muss täglich eingenommen werden.
  • Die Nutzerinnen sollen komplett auf Alkohol verzichten, sonst könne es zum Kreislaufversagen kommen. Übrigens kann auch die gleichzeitige Einnahme der Antibabypille das Risiko für Unverträglichkeiten oder Nebenwirkungen erhöhen.
  • Das Medikament ist nicht zur Anwendung zugelassen, wenn der Libidomangel auf medizinische oder psychische Ursachen, auf Beziehungsprobleme oder auf Medikamenten- oder Drogeneinnahme zurückzuführen ist.
  • Addyi ist rezeptpflichtig. Es darf nur von Ärzten verordnet und von Apotheken abgegeben werden, welche speziell geschult und zertifiziert wurden.

Eine Zulassung von Addyi in Deutschland ist derzeit nicht geplant.

Über den Autor: Dr. Torsten Freitag ist Paar- und Sexualtherapeut in eigener Praxis in Magdeburg. Außerdem arbeitet er in der Sexualambulanz an der Berliner Charité.

Sexualmedizinische Praxis Dr. Freitag
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