Selbstmedikation der Migräneattacke mit rezeptfreien Triptanen

Beratung-in-der-Selbstmedikation-der-Migraene-333x221 Selbstmedikation der Migräneattacke mit rezeptfreien Triptanen

      • Seit April 2006 kann Naratriptan als Formigran® 2,5 mg in Kleinpackungen zu 2 Tabletten auch ohne Rezept in der Apotheke erworben werden. Formigran® ist dabei wirkstoffgleich mit dem weiterhin verschreibungspflichtigen Naramig®. Beide enthalten den Wirkstoff Naratriptan in einer Dosis von 2,5 mg.
      • Ab Mai 2011 ist mit Dolortriptan® ein zweites Triptan rezeptfrei in deutschen Apotheken erhältlich. Analog entspricht das Dolortriptan® dem rezeptpflichtigen Almogran® mit dem gleichen Wirkstoff Almotriptan 12,5 mg.
      • Das Apothekenpersonal muss daher die Unterscheidungsmerkmale der Migräne von anderen Kopfschmerzen kennen, um im Beratungsgespräch entsprechend aufzuklären.
      • Zur Migränediagnose ist eine sorgfältige ärztliche Untersuchung zwingend vorgeschrieben, ansonsten kann und darf die Diagnose nicht gestellt werden.
      • Epidemiologische Studien zeigen, dass nur rund drei von zehn betroffenen Patienten die Merkmale der Migräne kennen. Triptane können auch Kopfschmerzen bei Medikamentenübergebrauch verursachen und unterhalten.
      • Sie wirken also keinesfalls ausschließlich bei Migräne, womit die Rezeptfreiheit begründet wurde. Aufgrund der Wirkung darf nicht „ex juvantibus“ auf die vermeintliche Diagnose geschlossen werden.
      • Wie früher die Ergotaminpräparate und heute Schmerzmittel und insbesondere koffeinhaltige Schmerzmittelmischpräparate sind auch Triptane in der Lage, einen medikamenteninduzierten Kopfschmerz auszulösen.
      • Almogran® und Naramig® sind weiter rezeptpflichtig. Sie können in Packungen ab 6 Tabletten auch für GKV-Versicherte verordnet werden.
      • Formigran® und Dolortriptan® sind apothekenpflichtig und werden in der 2er Packung ohne Rezept in der Apotheke abgegeben. Diese Präparate sind in der GKV nicht erstattungsfähig.
    • Die Wirkstoffe sind zugelassen für die akute Behandlung der Kopfschmerzphasen von Migräneanfällen mit und ohne Aura. Wie für alle zugelassenen Triptane ist die therapeutische Wirksamkeit von Naratriptan und Almotriptan ausreichend belegt. Für die Selbstmedikation muss aber sichergestellt werden, dass die Wirkstoffe erst eingenommen werden, wenn dem Anwender klar ist, dass es sich um einen Migräneanfall handelt.

      Der einzige Unterschied zwischen den jeweiligen rezeptpflichtigen und rezeptfreien Varianten des gleichen Wirkstoffs ist bei identischer Dosis ausschließlich die Tablettenzahl pro Packung. Sowohl Dolortriptan® als auch Formigran® enthalten jeweils 2 Tabletten. Größere Packungsgrößen gehen mit einer Verschreibungspflicht und einem anderen Namen einher.

      Da sowohl Naramig® als auch Almogran® bereits seit vielen Jahren in Deutschland erhältlich sind, handelt es sich bei den rezeptfreien Triptanen keineswegs um herausragende Innovationen.

      Dass die beiden Triptane durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) aus der Verschreibungspflicht entlassen werden konnten, bedeutet jedoch eine grundlegend neue Beurteilung der Sicherheit dieser Substanzen und letztlich auch der gesamten Klasse der Triptane.

      Dies ist umso erstaunlicher, wenn man noch einmal die Geschichte der Markteinführung der Triptane erinnert. Gerade die Muttersubstanz der Klasse, das Sumatriptan (Originalhandelsname Imigran®) wurde bei der Markteinführung wegen angeblicher schwerwiegender Sicherheitsbedenken unberechtigt kritisiert. Der zweifelsfrei guten Wirkung, die alle bislang zur Verfügung stehenden Therapiemöglichkeiten in der akuten Migräneattackenbehandlung in den Schatten stellte, stand die Sorge vor potentiell schwerwiegenden Nebenwirkungen gegenüber, insbesondere vor möglichen Durchblutungsstörungen (Herzinfarkte oder Schlaganfälle). Die von vielen Patienten als unangenehmste Nebenwirkung beschriebene Enge im Brust- und Halsbereich schien diese Befürchtungen in Einzelfällen zu bestätigen. Dass die Markteinführung des Imigran® 1993 dann auch noch zeitlich mit dem Beginn der Medikamentenbudgetierung deutscher Kassenärzte zusammenfiel, machte die Akzeptanz dieser Substanz noch schwerer. Spätestens ab 1997 war mit der Einführung der “Triptane der 2. Generation”, dem Zolmitriptan (AscoTop®), Naratriptan (Naramig®) und Rizatriptan (Maxalt®) die Anerkennung der Triptane als wirksame, verträgliche und sichere Substanzgruppe jedoch nicht mehr aufzuhalten. Inzwischen sind in Deutschland 7 verschiedene Triptane erhältlich, zusätzlich noch Eletriptan (Relpax®), Almotriptan (Almogran®) und Frovatriptan (Allegro®).

      Auch alle anderen Triptane können die beim Sumatriptan beschriebenen Beklemmungsgefühle im Brust- und Halsbereich auslösen. Betroffen ist jedoch in der Praxis nur eine Minderheit von Patienten. Selbst beim Sumatriptan tritt diese Nebenwirkung nur bei einem sehr geringen Teil der Patienten auf und meist verschwindet sie bei Einnahme über einem längeren Zeitpunkt weitestgehend. Hinzu kommt, dass diese Nebenwirkung insbesondere bei der s.c.-Injektion auftritt, seltener bei den überwiegend gebrauchten Tabletten, Nasensprays oder Suppositorien. Wäre dieses Engegefühl tatsächlich Folge einer Verengung von Herzkranzgefäßen (wie zunächst postuliert wurde), hätte man erwarten müssen, dass unter der Behandlung gehäuft Herzinfarkte auftreten würden. Hierfür finden sich in den 18 Jahren seit der Markteinführung des Sumatriptans (und dann auch der anderen Triptane) aber keinerlei begründete Hinweise. Koronarangiographien konnten zeigen, dass sich der Durchmesser der Herzkranzgefäße nach Triptaneinnahme weder bei Herzgesunden noch bei Patienten mit einer nachgewiesenen koronaren Herzerkrankung überhaupt signifikant verändert. Tatsächlich geht man heute davon aus, dass das Engegefühl in der Brust und im Halsbereich Folge einer Verkrampfung glatter Muskulatur in der Speiseröhre und damit, wenn auch unangenehm, so doch unbedenklich ist!

      Dennoch gelten weiterhin für alle Triptane die Einnahmeregeln aus den ersten Jahren der Einführung des Sumatriptans: Eine Anwendung darf nicht erfolgen bei bekannten oder befürchteten Durchblutungsstörungen des Kopfes, Herzens oder anderer Organe, sowie bei einem nicht oder unzureichend behandelten Bluthochdruck. Hinsichtlich des Einsatzes von Sumatriptan in der Schwangerschaft hat aufgrund zunehmender Erfahrung eine Liberalisierung begonnen. Es besteht eine strenge Indikationsstellung für den Einsatz in der Schwangerschaft. Ausreichende Erfahrungen über die Anwendung beim Menschen in der Schwangerschaft liegen nicht vor. Der Tierversuch erbrachte keine Hinweise auf embryotoxische/teratogene Wirkungen.

      Unpräzise sind die Empfehlungen zum Einsatz von Triptanen bei Auftreten von Migräneauren. Die zur Verfügung stehenden Studien zeigen weder eine Abkürzung einer Aura durch Einnahme eines Triptans (Sumatriptan s.c. oder Eletriptan), noch ein vermehrtes Auftreten von Komplikationen. Da Triptane jedoch anders als bei den Herzkranzgefäßen zweifellos Blutgefäße im Kopf verengen können, wird vom Einsatz bei komplexeren Auren generell abgeraten (z. B. familiäre hemiplegische Migräne, Migräne vom Basilaristyp) bzw. bei typischen Auren erst in der Kopfschmerzphase der Migräne, d.h. nach vollständigem Abklingen einer eventuellen Aura.

      Wenn sich nach der Behandlung von vielen Millionen Migräneattacken mit Triptanen in den letzten 10 Jahren weltweit die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass Triptane auch im Vergleich mit anderen Migränemitteln nicht nur wirksam, sondern auch weitestgehend sicher sind, stellt sich die Frage, warum nicht alle Triptane rezeptfrei werden bzw. warum die Packungsgrößen von Formigran® und Dolotriptan® auf 2 Tabletten begrenzt wurden. Der wesentliche Grund:

      In der Praxis äußert sich dies in einer kontinuierlichen Zunahme der Migräneattackenhäufigkeit, wenn erst einmal eine Grenzschwelle der Triptaneinnahme von 10 Tagen pro Monat überschritten ist. Es gilt auch für Triptane die Regel, dass sie nicht häufiger als an 10 Tagen im Monat eingesetzt werden sollten. Die Limitierung der Packungsgröße beider freiverkäuflichen Triptane trägt dieser Erkenntnis Rechnung. Natürlich kann nicht verhindert werden, dass sich ein Patient im Medikamentenübergebrauch mehrere Schachteln der freiverkäuflichen Triptane über das Internet oder auch in Apotheken kauft. Die kleine Packungsgröße (bei relativ hohem Preis) dürfte jedoch vom Betroffenen unschwer als Hinweis aufgefasst werden, dass die Triptane nicht in großen Mengen eingenommen werden sollten. Die Packungsgröße ist damit quasi ein Warnzeichen des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hinter den freiverkäuflichen Triptanen – ähnlich wie übrigens auch bei der Limitierung des freiverkäuflichen Paracetamol auf maximal 10 g pro Packung.

      Dass noch nicht alle Triptane rezeptfrei erhältlich sind, liegt daran, dass nicht alle Hersteller einen Antrag auf Entlassung ihrer Substanz aus der Verschreibungspflicht gestellt haben oder diesem Antrag nicht entsprochen wurde (Beispiel Sumatriptan: in England ist dies rezeptfrei in Apotheken erhältlich, in Deutschland wurde die Entlassung aus der Verschreibungspflicht nicht genehmigt). Hier spielen sicherlich die Eigenschaften der einzelnen Triptane und deren Bewertungen eine Rolle. Die Triptane unterscheiden sich zum Teil deutlich hinsichtlich ihrer Wirkstärke, Wirkgeschwindigkeit und auch Wirkdauer. Für die Frage der Notwendigkeit einer Verschreibungspflicht ist jedoch die Verträglichkeit von wesentlicher Bedeutung. Gerade das Naratriptan (Formigran®) und das Almotriptan (Dolortriptan®) gelten als besonders nebenwirkungsarm, was sie damit für die Rezeptfreiheit nachvollziehbar prädestinierte.

      Vergleicht man Formigran® und Dolortriptan® miteinander, so können beide gleich gut verträglich bewertet werden. Das Dolortriptan® scheint nach Studiendaten dem Formigran® hinsichtlich Wirkstärke und Wirkdauer etwas überlegen sein, wohingegen das Formigran® eine längere Wirkdauer zeigt. Beiden gemeinsam ist, dass sie auch dann noch wirken können, wenn Schmerzmittel unwirksam waren.

      Beide freiverkäuflichen Triptane stellen eine wesentliche Verbesserung der Möglichkeiten zur Selbstmedikation von Migräneattacken dar. Wenn die genannten Einnahmebeschränkungen beachtet werden, ist die Verträglichkeit im Allgemeinen sehr gut. Spätestens wenn der Triptanverbrauch jedoch eine bedenkliche Nähe zum Übertritt der 10-20-Regel erreicht (mindestens 6 oder mehr Tage im Monat), sollte ein Arzt aufgesucht werden, um die Entwicklung eines Kopfschmerzes bei Triptanübergebrauch zu verhindern oder einen solchen zu behandeln.

      Ein Antrag auf Entlassung aus der Verschreibungspflicht ist auch für 10 mg Rizatriptan gestellt. Über diesen wird am 5.7.2011 entschieden.