Schwer heilende Knochenbrüche: Neue Behandlungsstrategien

15. Europäischer Orthopädie-Kongress EFORT – 4.-6. Juni 2014, London

Sehr große, verzögert oder nicht heilende Frakturen erfordern spezialisierte Behandlungsformen. Zelltherapie, das Diamant-Konzept oder bioaktive Membrane könnten künftig bisherige Therapiestandards an Schnelligkeit, Effizienz und Verlässlichkeit überflügeln, berichteten Experten beim EFORT Kongress in London.

London, 4. Juni 2014 – „Auch wenn Knochengewebe eine fantastische Regenerationsfähigkeit besitzt: Bei größeren, mehr als fünf Zentimeter langen Knochendefekten ist jede Knochentransplantationstechnik zum Scheitern verurteilt. Umso wichtiger ist es, innovative Behandlungsformen zu finden“, sagte Prof. Peter Giannoudis (Universität Leeds) beim 15. EFORT Kongress in London. Organisiert wird der Kongress von der European Federation of National Associations of Orthopaedics and Traumatology (EFORT) gemeinsam mit der British Orthopaedic Association (BOA). Patientensicherheit ist das Hauptthema dieses wissenschaftlichen Großereignisses, zu dem mehr als 7.000 Teilnehmer/-innen aus aller Welt in der britischen Hauptstadt zusammentreffen.

Goldstandard: Knochentransplantation und Distraktionsosteogenese

„Eine gute Option bei Knochendefekten von bis zu 25 Zentimetern ist die vaskularisierte Knochentransplantation“, erklärte Prof. Giannoudis. Dafür werden Wadenbein, Beckenkamm oder Rippen eine Knochenspende entnommen. „Dieser Behandlungsansatz hat allerdings auch seine Grenzen: Er erfordert ganz besondere Kenntnisse und ist wenig geeignet für Patienten/-innen mit Begleiterkrankungen oder fortgeschrittenem Alter.“ Gute Behandlungsergebnissen liefert nach wie vor die Methode der Distraktionsosteogenese. Auf dem Goldstandard dieser beiden Verfahren bauen viele neuere Techniken auf.

Neue Strategien: Knochenwachstumsfördernde Substanzen und Zelltherapie

Osteoinduktive Substanzen, etwa morphogenetische Proteine, eröffnen neue Wege für die Behandlung verzögerter Knochenheilung. „Wie viel Knochenvolumen durch die wachstumsfördernden Eigenschaften der Substanzen tatsächlich lokal produziert werden kann, ist zwar nach wie vor ungeklärt, aber auf Grundlage der klinischen Nachweise und persönlichen Erfahrungen kann davon ausgegangen werden, dass eine Ampulle morphogenetischer Proteine ausreichen sollte, um die Knochenheilung bei Defekten von bis zu zwei Zentimetern zu unterstützen“, so der Experte. Jüngst entwickelte Behandlungsstrategien sind Zelltherapien, bei denen durch Knochenmarkschnitt vom Becken entnommene Stammzellen, konkret Osteoprogenitorzellen, implantiert werden. „Die klinischen Erfahrungen dazu gruppieren sich bislang eher um Frakturen mit verzögerter Heilung, weniger um große Frakturen, sie könnten aber auch in diesem Bereich nützlich sein“, so Prof. Giannoudis.

Bioaktive Membrane kurbeln die Knochenregeneration an

Bioaktive Membranen scheinen ebenfalls eine attraktive neue Möglichkeit zu sein, die Knochenregeneration voranzutreiben, sei es mit oder ohne zusätzliche Knochentransplantation. „Dieses Verfahren ist aber noch im experimentellen Stadium, die klinischen Erfahrungen sind bislang dünn gesät“, so Prof. Giannoudis. Neuerdings wird auch die „induzierte Membranentechnik“ zur Behandlung großer Knochendefekte eingesetzt. Für das Verfahren sind aber gleich zwei Operationen nötig. Beim zweiten Eingriff wird ein zuvor eingefügtes Distanzstück aus Zement entfernt und gleichzeitig eine Knochentransplantation durchgeführt mit einer Eigen- oder Fremdspende oder einer Kombination aus beidem. Für Aufsehen hat der Einsatz von Zellträgern gesorgt, die mit Osteoprogenitorzellen und/oder einem Wachstumsfaktor angereichert sind. „Es herrscht eine rege Debatte darüber, wie diese Methode optimiert werden könnte. Die meisten Erfahrungen rühren derzeit noch von experimentiellen Verfahren, die Übertragung in die klinische Realität steckt also noch in den Kinderschuhen“, berichtete Prof. Giannoudis.

Diamond Concept wird zunehmend Behandlungsstandard

Das kürzlich entwickelte so genannte Diamant-Konzept ist für seine optimale Knochenheilung bekannt und erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Das Konzept steht für eine Tissue Engineering-Strategie, bei der alle wichtigen Bestandteile der Knochenheilung während des chirurgischen Eingriffs implantiert werden. Dazu gehören ein Wachstumsfaktor, ein Zellträger und Osteoprogenitorzellen. Gleichzeitig wird besonders auf eine optimale Osteosynthese durch Implantate geachtet, also auf eine Optimierung der mechanischen Umgebung. „Dieser Zugang scheint sehr vielversprechend zu sein, die vorläufigen klinischen Daten weisen auf sehr gute Behandlungsergebnisse hin“, so Prof. Giannoudis.

Therapie-Option der Zukunft: Biologische Kammern, lokale Bioreaktoren

„Als Hauptforschungsthema für die Zukunft sehe ich Therapiezugänge, die auf ‚Tissue engineering‘ basieren. Das Grundkonzept des Diamantkonzepts wird mit verschiedensten Abänderungen erprobt und optimiert werden – dabei werden unterschiedliche Materialkombinationen, Dosierungen und innovativen Techniken ausprobiert. Außerdem wird das Konzept von ‚biologischen Kammern‘ und ‚lokalen Bioreaktoren‘ weiterentwickelt und getestet, das ein gut definiertes und reguliertes molekulares Umfeld bietet“, so der Experte. Ein gangbarer Weg wäre laut Prof. Giannoudis auch, systemische pharmakologische Wirkstoffe mit anabolen Eigenschaften zu verabreichen und gleichzeitig lokale Faktoren zu implantieren. Auch hierzu seien noch viele Studien nötig. Dominierend wird insgesamt die Erforschung von Kombinationstherapien in der Form von Polytherapien sein.

„Die bewährten Methoden werden weiterhin als verlässliche Optionen in Einsatz bleiben. Unser Ziel ist aber, einen Behandlungsdurchbruch zu erzielen, um Knochenabbau, nicht heilende oder sehr große Frakturen künftig schneller, effizienter und verlässlicher behandeln zu können und dabei die Risiken für die Patient/-innen zu minimieren“, betonte Prof. Giannoudis.

Hintergrund EFORT

Die European Federation of National Associations of Orthopaedics and Traumatology (EFORT) ist die Dachorganisation nationaler orthopädischer Fachgesellschaften in Europa. EFORT wurde 1991 im italienischen Marentino gegründet. Heute gehören ihr 45 nationale Mitgliedsgesellschaften aus 42 Ländern und elf assoziierte wissenschaftliche Organisationen an.

EFORT ist eine Non-Profit Organisation. Das Ziel der Mitgliedsgesellschaften ist es, den Austausch von wissenschaftlichem Fachwissen und von Erfahrungen in der Vorbeugung und Behandlung von Krankheiten und Verletzungen des muskuloskelettalen Systems zu fördern. EFORT organisiert einen jährlichen Kongress, Seminare, Kurse, Foren und Konferenzen in ganz Europa. Ferner werden Grundlagenforschung und klinische Forschung initiiert und unterstützt.

Quelle:
P.V. Giannoudis et al: Bone regeneration strategies: Current trends but what the future hold? In: Injury, int. J. Care Injured 44 (2013); EFORT Kongress Symposium Bone Healing: Diamond Concept, 4. Juni 2014

Info:
15th EFORT Congress 2014 – Medienkontakt: Dr. Birgit Kofler, B&K Kommunikationsberatung; E-Mail: kofler@bkkommunikation.com; Mobil: +43 676 6368930; Tel. Wien: +43 1 3194378 13; Tel. Berlin: +49 30 700159676