Wien, 24. Oktober 2014 – „Es ist aus medizinischer, ethischer und wirtschaftlicher Sicht unerträglich, dass Spar- und Kostendruck im Gesundheitswesen ausgerechnet zu Lasten von Schmerzpatienten gehen. Statt Sparpotenziale durch angemessene Behandlung zu nutzen, wird leider in Österreich an der Schmerzmedizin selbst gespart – kein Renommee für das zweitreichste Land in der EU“, so Prim. ao. Univ.-Prof. Dr. Christian Lampl, Präsident der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG), Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern, Linz, heute zum Auftakt der 14. Österreichischen Schmerzwochen. „Wir werden jetzt unsere langjährigen Forderungen auf eine neue Ebene bringen. Die ÖSG wird in den kommenden Wochen eine Parlamentarische Petition oder Bürgerinitiative starten, um den Gesetzgeber ebenso wie die breite Öffentlichkeit auf die dramatischen Unzulänglichkeiten in der Versorgung von Schmerzpatienten aufmerksam zu machen.“
Krise macht (schmerz)krank
Dass die jährliche Informationsoffensive der Österreichischen Schmerzgesellschaft das Motto „Schmerzmedizin in der Krise“ habe, sei aus gutem Grund eine mehrdeutige Formulierung. „Wir wissen aus zahlreichen Untersuchungen, dass Wirtschaftskrisen mit all ihren Begleiterscheinungen wie prekären Arbeitsverhältnissen, Arbeitslosigkeit und Kürzungen im Sozial- und Gesundheitswesen nachteilige Auswirkungen auf den Gesundheitszustand der Bevölkerung haben. Das gilt in besonderem Maß für chronische Schmerzen“, betonte der ÖSG-Präsident. „Verstärkter Druck in der Arbeitswelt zum Beispiel führt zu einer massiven Zunahme an psychischen Erkrankungen wie Depressionen, die ihrerseits wieder zu einem hohen Grad mit chronischen Schmerzzuständen vergesellschaftet sind. Sorgen um den Verlust des Arbeitsplatzes führen dazu, dass man Schmerzzustände wie etwa Rückenschmerzen nicht adäquat behandeln lässt – mit der Konsequenz, dass sie chronifizieren.“
Krise macht volkswirtschaftliche Relevanz von Schmerzerkrankungen deutlich
Andererseits sollte die Gesundheitspolitik gerade in Zeiten von Sparbudgets sehr genau abwägen, wo knappe Ressourcen besonders sinnvoll eingesetzt sind, weil sie auch Folgekosten vermeiden helfen. Prof. Lampl: „Wir wissen, dass die gesamten direkten und indirekten Kosten chronischer Schmerzen etwa 1,5 bis drei Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung in der EU ausmachen – Kosten, die zu einem guten Teil vermeidbar wäre, würde ausreichend in Prävention und eine frühzeitige Behandlung von Schmerzen investiert, bevor diese chronifizieren und damit zur individuellen und volkswirtschaftlichen Last werden.“
„Doch bei unserem Versuch, individuelle Therapiestrategien umzusetzen, stoßen wir immer wieder an Beschränkungen, Strukturvorgaben und sparbedingte Versorgungsdefizite“, so Prof. Lampl. „In den vergangenen Jahren haben es die Krankenkassen gerade einmal für ein neues Schmerzmedikament akzeptiert, ohne chefärztliche Genehmigung und bürokratische Hürden die Kosten zu übernehmen. Andere wichtigen Arzneimitteln wie zum Beispiel neue Medikamente gegen Durchbruchsschmerzen bei Krebspatienten befinden sich im Erstattungskodex der Sozialversicherung in der „No-Box“ beziehungsweise „Roten Box“, damit muss jede Verordnung bewilligt werden.“ Auch an wichtigen schmerzmedizinischen Angeboten im stationären Bereich werde gespart. Zu Jahresbeginn wurde etwa der Akutschmerz-Journaldienst am Wiener AKH ersatzlos gestrichen. Prof. Lampl: „Damit wird ausgerechnet im größten Krankenhaus Österreichs Menschen, die an schwer beherrschbaren Schmerzen leiden, kompetente Hilfe vorenthalten.“ Dazu käme die Schließung von Schmerzambulanzen – nicht zuletzt, weil die Krankenhausträger keine ausreichende Refundierung für diese Angebote erhalten. „Die Behandlung von Schmerzen als eigenständiges Krankheitsbild ist nach wie vor in den Leistungskatalogen der Krankenkassen nicht vorgesehen, eine auch nur annähernd realistische Honorierung gibt es derzeit nicht“, so Prof. Lampl über weitere Versorgungsdefizite. „Ambulante und stationäre schmerztherapeutische Einrichtungen, die ausschließlich Schmerzkranken zur Verfügung stehen, gibt es nach wie vor nur sporadisch. Es leider in diesem Land so, dass die Qualität der Versorgung vom Wohnort der Patienten abhängt. In Österreich gibt es nicht einmal in jedem Bundesland eine Versorgungsstruktur, die eine multimodale Schmerztherapie ermöglichen würde.“
Die Forderungen an die Gesundheitspolitik: ÖSG startet parlamentarische Aktion
Die gesundheitliche Versorgung der Schmerzpatienten könne daher zu Recht als mehr als unbefriedigend bezeichnet werden, betonte der ÖSG-Präsident. „Die österreichische Gesundheitspolitik ignoriert nach wie vor die Bedürfnisse von Schmerzpatienten und die Vorschläge von Schmerz-Experten für eine Verbesserung der schmerzmedizinischen Versorgung. Notwendig wäre eine eigenständige ICD-Kodierung für chronischen Schmerz, eine sinnvoll abgestufte Versorgung vom Hausarzt über den spezialisierten Schmerzmediziner zur Schmerzambulanz, zur Schmerzabteilung und zum Schmerzkrankenhaus. Außerdem sollten spezifische Schmerzrehabilitationszentren für Menschen mit chronischen Schmerzen geschaffen werden.“
Die Umsetzung dieser Verbesserungsvorschläge scheitere jedoch an fehlenden Aktivitäten der Krankenkassen und Sozialversicherungsträger und am nicht vorhandenen politischen Willen, so Prof. Lampl.
Die „Allianz Chronischer Schmerz Österreich“, eine Plattform von 38 einschlägigen Selbsthilfegruppen, hat zuletzt mit mehr als 4.300 für eine Verbesserung der schmerzmedizinischen Versorgung gesammelt. Auf diesen Weckruf aufbauend will die Österreichische Schmerzgesellschaft jetzt eine neue Initiative starten, um strukturelle Verbesserungen zu erreichen.
„Durch die Patientencharta, eine Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern nach Artikel 15a der Bundesverfassung, wurde bereits 2006 das Recht auf suffiziente Schmerzbehandlung gesetzlich abgesichert“, betonte der ÖSG-Präsident. „Doch dieser Anspruch bleibt leider in vielen Fällen totes Recht, weil nicht die adäquaten Ressourcen zur Verfügung stehen. Mit unserer parlamentarischen Bürgerbeteiligungs-Initiative werden wir daher unter anderem die Bundesministerin für Gesundheit auffordern, eine Qualitätsleitlinie für die Versorgung chronischer Schmerzpatienten entwickeln zu lassen.“ Gefordert wird außerdem die konkrete Umsetzung des grundsätzlichen Anspruchs auf angemessene Schmerztherapie in allen relevanten Rechtsmaterien – vom ASVG über das Gesundheitsqualitätsgesetz bis zu den Regelungen zur Gesundheitszielsteuerung.
Mit freundlicher Unterstützung von
Bionorica Research – Janssen Cilag Pharma – Linde Gas Therapeutics – Medtronic – Mundipharma – Nevro Medical – Pfizer – Ratiopharm – Sanofi-Aventis – Sanofi Pasteur MSD
Kontakt:
B&K Bettschart&Kofler Kommunikationsberatung
Dr. Birgit Kofler, Mag. Roland Bettschart
01 3194378, 0676 6368930, 0676 6356775
kofler@bkkommunikation.com, bettschart@bkkommunikation.com
www.bkkommunikation.com