Schweinfurt im Juni 2016. Das Ziel ist klar: Deutschland will als amtierender Weltmeister bei der EM vom 10. Juni bis zum 10. Juli 2016 in Frankreich den Titel holen. Die Ausgangslage vor dem ersten Gruppenspiel gegen die Ukraine am 12. Juni 2016 ist jedoch alles andere als optimal. Nicht nur, dass die Mannschaft während der Qualifikationsphase eher durchwachsene Spiele ablieferte, auch sind Bastian Schweinsteiger, eine absolute Führungsfigur und der aktuelle Kapitän der Mannschaft, sowie Mittelfeldmotor İlkay Gündoğan verletzt. Erschwerend hinzu kommt die allgemein hohe Erwartungshaltung – nie zuvor gelang es der deutschen Elf, als amtierender Weltmeister auch Europameister zu werden, und der letzte Sieg bei einer Europameisterschaft liegt bereits 20 Jahre zurück.
Wie unsere Nationalmannschaft trotz aller Widrigkeiten den Titel holen kann, erklärt Jürgen Höller anhand von sechs Motivations- und Mentaltipps. Dabei kann er auf Erfahrungen aus seiner jahrelangen Zusammenarbeit mit Deutschlands Topathleten zurückgreifen. So hatte er maßgeblichen Anteil an dem Skisprung-Weltrekord von Andi Goldberger sowie dem Hallenweltmeistertitel von Grit Breuer. Zudem arbeitete er mit der damals von Christoph Daum betreuten Mannschaft von Bayer 04 Leverkusen zusammen.
- Zielsetzung und der bedingungslose Glaube an dieses Ziel
„Wer Europameister werden will, darf keine Angst davor haben, dieses Ziel auch zu formulieren. Wichtig ist, dass sich das gesamte Team mit dem Ziel identifizieren kann. Zudem muss jeder im Team bereit sein, diesem Ziel für einen begrenzten Zeitraum alles unterzuordnen – das funktioniert nur, wenn der unbedingte Glaube an dieses Ziel gegeben ist. Um im Verlauf des langen Turniers den Glauben trotz Rückschlägen nicht zu verlieren, muss dieser im Vorfeld mittels Mentaltechniken gestärkt und im Unterbewusstsein verankert werden.“
- Von Spiel zu Spiel denken
„Während eines Turniers, bei dem einzelne Spiele oft Endspielcharakter haben, ist es wichtig, von Spiel zu Spiel zu denken. Es gibt keine leichten Gegner – somit muss jedes Spiel detailliert vorbereitet und von Trainern und Spielern fokussiert angegangen werden. Diese Vorgehensweise hilft den Spielern dabei, schlechte Spiele schneller abzuhaken und mit dem Druck der Zielsetzung umzugehen.“
- Lockerheit nicht verlieren
„Bei der Erwartungshaltung und dem Druck, unter dem die Mannschaft steht, ist es von besonderer Bedeutung, die eigene Lockerheit nicht zu verlieren, denn Angst lähmt Kopf und Beine. Das Allerbeste geben – und gleichzeitig dabei loslassen. Diese Mischung ergibt dann den Erfolg.“
- Als Team agieren
„In der Vergangenheit war die deutsche Nationalmannschaft immer dann erfolgreich, wenn sie als echtes Team aufgetreten ist. Es wird auch bei dieser Euromeisterschaft wieder von immenser Bedeutung sein, dass sich jeder Spieler auf den anderen verlassen kann. Zu erfolgreicher Arbeit im Team gehört es aber auch, mögliche Fehler des anderen auszubügeln.“
- Durchhaltevermögen
Bei der EM ist es wichtig, sich von schlechteren Leistungen zu Turnierbeginn nicht zurückwerfen zu lassen und daraus die notwendigen Lehren für den weiteren Turnierverlauf zu ziehen. Wesentlich ist es auch, im Hinterkopf zu behalten, dass ein Spiel erst beendet ist, wenn der Schiedsrichter es abpfeift – davor ist es oft noch möglich, das entscheidende Tor zu schießen und somit das Spiel zu drehen. Liverpool hat es in der aktuellen Europa-League-Saison im zweiten Viertelfinalspiel gegen Dortmund vorgemacht.“
- Erfolg visualisieren
„Weil Erfolg auch Kopfsache ist, gehört Visualisieren zu den wichtigsten Mentaltechniken im Sport. Mithilfe dieser Technik simulieren Athleten einzelne Bewegungsabläufe sowie mögliche Spielverläufe in Gedanken. Hilfreich ist es, sich den Augenblick des Triumphes immer wieder vorzustellen – dies kann dabei helfen, schwierige Phasen während eines Spiels oder Turniers zu überstehen und gestärkt aus diesen hervorzugehen. Und selbstverständlich gilt es, sich vor seinem inneren Auge immer wieder schon als Europameister zu sehen und diese Bilder im Unterbewusstsein durch permanente Wiederholung zu programmieren. Zwei der ersten Europäer, die diese Visualisierungstechnik anwendeten, waren Ski-Weltcup-Rekordgewinner Ingemar Stenmark und Skisprung-Legende Andi Goldberger, der, von mir gecoacht, damit sogar neuen Weltrekord sprang.“
Weitere Informationen unter www.juergenhoeller.com