Epilepsie: Psychische Begleiterkrankungen sind häufig, bleiben aber oft unbehandelt

EFNS/ENS Joint Congress of European Neurology: 31. Mai – 3. Juni 2014, Istanbul

Bis zu 60 Prozent der Menschen mit Epilepsie leiden unter psychischen Begleiterkrankungen wie Angstzuständen oder Depression, werden aber oft nicht adäquat behandelt, kritisierten Experten/-innen beim Joint Congress of European Neurology in Istanbul. Eine Reihe aktueller Studien liefern neue Erkenntnisse. Besonders schlecht geht es Menschen mit Epilepsie, deren Grunderkrankung nicht behandelt wird. Tests sollen die Früherkennung von Angststörungen verbessern. Auch Vorurteile machen Menschen mit Epilepsie schwer zu schaffen.

Istanbul, 2. Juni 2014 – „Bis zu 60 Prozent der Menschen mit Epilespie leiden unter psychischen Komorbiditäten wie Angstzustände oder Depressionen, doch diesem Umstand wird nach wie vor zu wenig Beachtung geschenkt. Das ist sehr bedauerlich, denn das mangelnde Bewusstsein dafür steht letztlich der Entwicklung entsprechender Hilfsangebote für die betroffene Personengruppe entgegen und führt vielfach zu einer inadäquaten Versorgung,“ betonte Dr. Hannah Cock (St. George’s University, London) auf dem Joint Congress of European Neurology in Istanbul. „Umso wichtiger sind daher die aktuellen Forschungsergebnisse, die auf dem Kongress diskutiert werden.“

Neue Tests identifizieren Angstzustände

Obwohl es eine Reihe von gut validierten Screeningverfahren gibt, um Angststörungen zu identifizieren. sind die meisten davon für den Routineeinsatz in Epilepsiezentren mit beschränkten zeitlichen Ressourcen nicht geeignet. Eine britische Studie, die auf dem Neurologie-Kongress in Istanbul präsentiert wurde, zeigt aber, dass bewährte Instrumente, die in diesem Setting für das Depressions-Screening eingesetzt werden, auch für die Suche nach Angststörungen geeignet sind: der NDDI-E-Fragenbogen (Neurological Disorders Depression Inventory for Epilepsy) und die ET (Emotional Thermometers). „Wir haben diese konventionellen analogen Tools bei mehr als 200 Menschen mit Epilepsie ohne Depressionen erprobt und können beide Tests dann empfehlen, wenn es in einem ersten Schritt mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen gilt, dass jemand an Angststörungen leidet. In unserer Einrichtung setzten wir sie bereits routinemäßig ein“, resümierte Dr. Cock.

Männer mit Epilepsie: Zwei Drittel unbehandelt

Eine in Istanbul vorgestellte norwegische Studie bestätigt, dass Epilepsie tendenziell mit seelischen Leiden einhergeht, ganz besonders dann, wenn die Grunderkrankung nicht ausreichend behandelt wird. Junge Männer mit Epilepsie (Durchschnittsalter 31,8 Jahre) leiden demnach im Vergleich zu gleichaltrigen gesunden Altersgenossen deutlich öfter unter Depressionen (3,9 Prozent versus 2,5 Prozent), leben unter ungünstigeren sozioökonomischen Bedingungen und zeigen sich häufiger mit ihrem Leben unzufrieden. Für die Studie wurden in einer Kohorte von über 71.000 Männern rund 650 Personen mit Epilepsie identifiziert. „Nur ein gutes Drittel (36,9 Prozent) nahm Antiepileptika, der Rest war unbehandelt“, berichtet Prof. Nils Erik Gilhus (Universität Bergen). „Das bekam ihnen allerdings schlecht. Bei allen Aspekten, die die psychische Gesundheit betrafen, schnitten unbehandelte Männer mit Epilepsie schlechter ab als behandelte.“ Konkret litten sie häufiger unter Angstzuständen (sieben versus 4,6 Prozent), Aufmerksamkeitsstörungen (3,4 versus 0,4 Prozent), bipolaren Störungen (2,2 versus 0,3 Prozent), unspezifischen psychiatrischen Störungen (5,6 Prozent versus 2,3 Prozent) und schlechtem Selbstwert (2,5 versus 1,3 Prozent). Mehr als doppelt so oft (3,3 versus 1,5 Prozent) kam es bei unbehandelten Männern mit Epilepsie zu Gewaltepisoden.

Epilepsiemedikamente schützen nicht vor Depression während der Schwangerschaft

Dass Frauen mit Epilepsie häufiger an Depressionen während der Schwangerschaft leiden, aber seltener dagegen behandelt werden, zeigt eine weitere norwegische Kohortenstudie, die auf dem Kongress präsentiert wurde. Einbezogene wurden mehr als 100.000 Frauen, die in der 18. Woche schwanger waren. 713 von ihnen litten an Epilepsie. Die Depressionsprävalenz zum Untersuchungszeitpunkt war bei den Frauen mit Epilepsie höher als bei der Referenzgruppe (14,1 versus 9,1 Prozent), die Inzidenz während des dritten Schwangerschaftsabschnittes ebenso (8,4 versus 5,4 Prozent). „Ungeachtet dessen erhielten nur knapp sieben Prozent der betroffenen Frauen mit Epilepsie Antidepressiva. Frauen, die nicht an Epilepsie litten, erhielten mehr als doppelt so häufig eine entsprechende Medikation. Der Gebrauch von Antiepileptika wie Topiramat, Oxcarbazepin, Carbamazepin und Valproic ging einher mit erhöhtem Depressionsrisiko, die Medikamente schützen also nicht vor depressiven Symptomen“, fasste Prof. Gilhus zusammen. Die Studie zeigte auch, dass – abgesehen von Epilepsie – bei allen Frauen die gleichen Faktoren zur Entwicklung depressiver Symptomen beitragen, zum Beispiel geringes Haushaltseinkommen oder ungeplante Schwangerschaft. Eine psychiatrische Vorgeschichte sowie körperlicher oder sexueller Missbrauch vor der Schwangerschaft erwiesen sich als unabhängige Risikofaktoren, die die Depressionsgefahr verdoppeln.

Stigma Epilepsie: Viele Betroffene verschweigen die Krankheit in Schule, Beruf und Partnerschaft

Wie dringend notwendig es ist, die Gesellschaft über Epilepsie aufzuklären und Bewusstsein für die Probleme Betroffener zu schaffen, zeigte beim Joint Congress of European Neurology in Istanbul auch eine türkische Studie, für die 330 Epilepsiepatienten/-innen mit einem Durchschnittsalter von 29 Jahren befragt wurden, davon knapp zwei Drittel Frauen: Mehr als 40 Prozent gaben an, sich „anders“ als Menschen ohne Epilepsie zu fühlen. Knapp 40 Prozent der verheirateten Befragten, die bereits vor ihrer Eheschließung über ihre Krankheit im Bilde waren, gestanden, ihrem Partner beziehungsweise ihrer Partnerin die Epilepsie verschwiegen zu haben. Fast die Hälfte (48 Prozent) hatte während ihrer Schulzeit Freunden/-innen und Lehrern/-innen die Krankheit verheimlicht und über 37 Prozent versteckten sie auch am Arbeitsplatz. Kein Wunder: Fast 45 Prozent hatten es schwer, aufgrund ihrer Krankheit überhaupt eine Arbeitsstelle zu finden.

Quellen:

Kongress Abstracts Ozmen et al, Screening for anxiety in epilepsy clinics. A comparison of conventional and visual-analog methods; Reiter et al, Psychiatric disease, social aspects and life events in young men with epilepsy; Bjørk et al, Epilepsy during pregnancy: a prospective population-based cohort study of prevalence, incidence, treatment and predictors of depressive symptoms; Atakl? et al, What do ‘they’ perceive about epilepsy?

Pressestelle Joint Congress of European Neurology
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