Bessere Qualität in der orthopädischen Versorgung in Zeiten von Sparbudgets und alternder Gesellschaft

15. Europäischer Orthopädie-Kongress EFORT – 4.-6. Juni 2014, London

Einer immer älter werdenden Bevölkerung optimale orthopädische Versorgung anbieten zu können, während die öffentlichen Gesundheitsbudgets unter Spardruck sind: Das sind die aktuellen Herausforderungen, denen sich Orthopäden/-innen in ganz Europa und darüber hinaus stellen müssen. Auf dem EFORT-Kongress in London diskutierten Experten/-innen Möglichkeiten, begrenzte Ressourcen effektiver zu nutzen.

London, 5. Juni 2014 – „Die orthopädische Versorgung ist heute mit einem regelrechten Tsunami konfrontiert. Auf der einen Seite hat die Verschuldung der Staaten weltweit die Grenze von 53-Billionen US-Dollar erreicht“, sagte Prof. Timothy Briggs, Präsident der British Orthopaedic Association. „Gleichzeitig steigt die Lebenserwartung laufend und immer mehr Menschen werden immer älter. Schätzungen zufolge wird ein Viertel der Menschen in der EU im Jahr 2035 über 65 sein. Wenn wir für unsere Patienten/-innen auch in Zukunft eine qualitativ hochwertige Versorgung sicherstellen wollen, müssen wir die Dinge anders machen.“

Allein in Großbritannien betreffen mehr als 25 Prozent aller chirurgischen Eingriffe Erkrankungen des Bewegungsapparats, und diese Zahl wird in den nächsten zehn Jahren weiter ansteigen. Weltweit sind Erkrankungen des Bewegungsapparats die häufigste Ursache für Behinderung und Arbeitsunfähigkeit. „Vor dem Hintergrund eines stetig steigenden Bedarfs an orthopädischen Leistungen und des enormen Drucks auf die Gesundheitsbudgets kann durchaus von einer tickenden Zeitbombe gesprochen werden. Wir müssen aber die Explosion verhindern“, sagte EFORT Präsident Prof. Manuel Cassiano Neves (Lissabon). „Wir müssen die Quadratur des Kreises schaffen, mehr Ressourcen für die beste Versorgung zu mobilisieren und gleichzeitig Einsparungsmöglichkeiten zu finden.“

Wie dies möglich sein könnte war ein zentrales Thema beim 15. EFORT Kongress in London. Organisiert wird die Jahrestagung von der European Federation of National Associations of Orthopaedics and Traumatology (EFORT) gemeinsam mit der British Orthopaedic Association (BOA). Patientensicherheit ist das Hauptthema dieses wissenschaftlichen Großereignisses, zu dem mehr als 7.000 Teilnehmer/-innen aus aller Welt in der britischen Hauptstadt zusammentreffen.

Eine wissenschaftliche Sitzung des Kongresses war dem Ziel gewidmet, über diese wichtigen Fragen einen gesamteuropäischen Konsens zu erzielen. Die Herausforderung sei es, „die Ergebnisse für die Patienten/-innen zu verbessern, Komplikationen zu reduzieren und damit erhebliche Summen einzusparen“, wie Prof. Briggs betonte. „Heute werden nicht selten durch Fehl-Überweisungen, unangemessene Therapien, Rehospitalisierungen, Komplikationen oder daraus resultierende Schadenersatzansprüche Ressourcen verschwendet.“ Experten/-innen aus unterschiedlichsten Bereichen sind an diesem Diskussionsprozess beteiligt – aus der Orthopädie, Gesundheitsplanung, Versicherungen, Unternehmen und aus der Gesundheitsökonomie. Nach dem Kongress in London sollen sie weiter an diesen Fragen arbeiten und konkrete Empfehlungen entwickeln.

Senken der Infektionsraten könnte Mittel für die Behandlung freimachen

Es gibt viele Beispiele dafür, wie die notwendigen Veränderungen erreicht werden könnten, wie Prof. Briggs bereits in seinem jüngsten Bericht „Getting it right first time“ belegen konnte. So zeigt sich am Beispiel von Krankenhausinfektionen, dass Einsparungen und eine verbesserte Versorgung einander nicht ausschließen, im Gegenteil: „Wir haben herausgefunden, dass in Großbritannien die Infektionsraten bei Hüft- oder Kniegelenkersatzoperationen zwischen den Krankenhäusern von 0,2 bis zu mehr als vier Prozent variieren. Wenn wir im gesamten System die niedrigsten Infektionsraten erreichen könnten, würde das zu jährlichen Einsparungen von 200 bis 300 Millionen Pfund führen, also 250 bis 370 Millionen Euro. Mit diesen Einsparungen könnten wir zusätzliche 40.000 bis 60.000 Gelenkersatz-OPs durchführen, ohne zusätzliche Kosten und ohne Rationierungen“, sagte Prof. Briggs. „Wenn wir aus Ergebnissen wie diesem lernen, können wir den Patienten/-innen helfen, Komplikationen reduzieren und jedes Pfund oder jeden Euro sinnvoller einsetzen.“

Evidenzbasiertes Vorgehen

Ein weiterer Ansatzpunkt, so Prof. Briggs, sei die konsequente Anwendung evidenzbasierter Verfahren. „Für ähnliche Verfahren gibt es enorme Unterschiede bei den Ergebnissen. Es werden die unterschiedlichsten Prothesen eingesetzt, wobei für viele nur spärliche Daten über die langfristige Wirksamkeit vorliegen. Neue diagnostische oder therapeutische Methoden werden den Patienten/-innen auf breiter Basis angeboten, allerdings manchmal mit wenig Nutzen. Zum Beispiel gab es in der Schulterchirurgie in den vergangenen zehn Jahren in Großbritannien eine 746prozentige Zunahme bei arthroskopischen subacrominalen Dekompressionen, obwohl für diese Methode keine Langzeitdaten vorliegen, aus anderen europäischen Ländern werden ähnliche Zahlen berichtet.“

Bessere orthopädische Ausbildung für Allgemeinmediziner/-innen und Studierende

Auch die medizinische Aus-und Weiterbildung kann eine entscheidende Rolle spielen, wenn es um eine bessere Versorgung im Rahmen begrenzter Budgets geht. In Großbritannien gehen bis zu 30 Prozent der Besuche bei Hausärzten/-innen auf Erkrankungen des Bewegungsapparates zurück, bei Patienten/-innen über 75 steigt diese Rate auf mehr als 50 Prozent. „Doch Allgemeinmediziner/-innen haben oft eine unzureichende orthopädische Ausbildung, weil sie damit an der Universität wenig in Berührung kommen“, so Prof. Briggs. Eine neue britische Studie, die auf dem EFORT Kongress präsentiert wurde, unterstreicht dies. Sie zeigt, dass medizinische Universitäten offenbar daran scheitern, den Studierenden grundlegende orthopädische Kenntnisse zu vermitteln. Nur 21 Prozent von 210 Medizinstudenten/-innen, die an der Studie teilnahmen, bestanden einen validierten Test zur Überprüfung ihrer orthopädischen Kenntnisse, obwohl sie ihr Medizinstudium bereits abgeschlossen hatten.

„Es gibt viele Hinweise darauf, dass wir eine hochwertige orthopädische Versorgung in Europa sicherstellen können, wir werden daher Empfehlungen auf europäischer Ebene entwickeln“, sagte Prof. Briggs. „In einem nächsten Schritt wird es wichtig sein, die politischen Entscheidungsträgern auf nationaler und europäischer Ebene von den erforderlichen Maßnahmen zu überzeugen.“

Hintergrund EFORT

Die European Federation of National Associations of Orthopaedics and Traumatology (EFORT) ist die Dachorganisation nationaler orthopädischer Fachgesellschaften in Europa. EFORT wurde 1991 im italienischen Marentino gegründet. Heute gehören ihr 45 nationale Mitgliedsgesellschaften aus 42 Ländern und elf assoziierte wissenschaftliche Organisationen an.

EFORT ist eine Non-Profit Organisation. Das Ziel der Mitgliedsgesellschaften ist es, den Austausch von wissenschaftlichem Fachwissen und von Erfahrungen in der Vorbeugung und Behandlung von Krankheiten und Verletzungen des muskuloskelettalen Systems zu fördern. EFORT organisiert einen jährlichen Kongress, Seminare, Kurse, Foren und Konferenzen in ganz Europa. Ferner werden Grundlagenforschung und klinische Forschung initiiert und unterstützt.

Quellen:
EFORT Congress Symposium: The International Healthcare Timebomb – An Avalanche Of Orthopaedics, 5 June 2014; EFORT Abstract Al-Nammari et al.: The Inadequacy Of Musculoskeletal Knowledge In Graduating Medical Students in the UK

Info:
15th EFORT Congress 2014 – Medienkontakt: Dr. Birgit Kofler, B&K Kommunikationsberatung; E-Mail: kofler@bkkommunikation.com; Mobil: +43 676 6368930; Tel. Wien: +43 1 3194378 13; Tel. Berlin: +49 30 700159676