Rätselhafte Kreidezähne – Mysteriöse Zahnschmelzstörung bei Kindern auf dem Vormarsch

Köln im April 2016. Immer häufiger stellen Zahnärzte bei ihren kleinen Patienten eine mysteriöse Erkrankung der Zahnsubstanz fest. Kinderzähne weisen vermehrt gelblich-weiße bis braune Verfärbungen auf. Trotz guter Pflege platzen an diesen Stellen schon bei normalem Kauen Teile der Schmelzschicht ab und der Zahn zerbröselt Stück für Stück. Fachärzte sprechen von einer Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH), unter der geschätzt etwa 10 Prozent der Kinder in Deutschland leiden. Dr. med. dent. Thea Lingohr MSc., Zahnärztin und Oralchirurgin aus Köln und Inhaberin der Zahnarztpraxis Dr. Lingohr & Kollegen, beobachtet dieses Phänomen auch in ihrer Praxis: „Bei der MIH liegt eine gestörte Mineralisierung des Zahnschmelzes vor, der eigentlich als härtestes Material im menschlichen Körper gilt. Je dunkler die Flecken, desto poröser die Zahnsubstanz.“ MIH tritt an Milchzähnen und an den ersten bleibenden Backenzähnen (Sechs-Jahr-Molaren), seltener auch an den bleibenden Schneidezähnen (Inzisiven) auf.

Startschwierigkeiten

Poröser Zahnschmelz sorgt für extreme Schmerzempfindlichkeit der Zähne. Kinder klagen häufig schon beim Putzen über Schmerzen und vernachlässigen daher ihre Mundhygiene zunehmend – mit fatalen Folgen. Dr. Lingohr weiß: „Allerdings schützt selbst intensive Mundhygiene nicht vor MIH. Durch die Störung der Mineralisationsphase haben Kinderzähne bereits einen weichen und brüchigen Zahnschmelz, wenn sie durch das Zahnfleisch durchbrechen.“ Die einzig gute Nachricht: MIH überträgt sich nicht auf gesunde Nachbar- oder Folgezähne. „Aufgrund der erheblichen Überempfindlichkeit verursachen selbst Behandlungen unter Lokalanästhesie immer noch erhebliche Schmerzen. Um zu vermeiden, dass die kleinen Patienten eine Angst vor Zahnarztbesuchen entwickeln, gestalten wir den Eingriff daher mithilfe einer Lachgassedierung so sanft wie möglich.“ Dr. Lingohr entfernt betroffene Stellen, füllt den Zahn wieder auf und versiegelt ihn abschließend. „In ausgeprägten Fällen findet eine Füllung in porösen Zähnen jedoch keinen Halt, weshalb wir diese oftmals überkronen oder ziehen müssen.“

Zahnbruch im Milchgebiss

MIH entsteht in der Entwicklungsphase der befallenen Zähne zwischen dem 8. Schwangerschaftsmonat bis etwa zum 4. Lebensjahr. Bei der Bildung des Zahnschmelzes baut sich zunächst ein Proteingerüst auf, an dem Mineralien sich festsetzen, kristallisieren und den Zahnschmelz ausbilden. MIH bewirkt einen lückenhaften Aufbau, weshalb der Zahnschmelz nicht vollständig aushärtet und brüchig bleibt. Ursachen hierfür stehen noch nicht hinreichend fest. Forscher vermuten eine Schädigung durch den Weichmacher Bisphenol A (BPA). Unter anderem gelangt er durch Lebensmittelverpackungen aus Kunststoff und Metall, aber auch durch langes Nuckeln an Plastikflaschen und Schnullern in den Körper. Schwangere und stillende Mütter sollten in Plastik abgepackte Lebensmittel und Getränke daher meiden. Bei der Herstellung von Babyflaschen ist der Stoff sogar seit 2011 verboten. Als weitere mögliche Ursachen gelten Fiebererkrankungen im Kleinkindalter, Störungen des Mineralhaushalts und Infektionskrankheiten wie Scharlach, Mumps und Masern. Auch die frühe Gabe bestimmter Antibiotika könnte zu den Auslösern zählen.

Doppelbelastung

Laut Angaben der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) sorgt umfangreiche Aufklärung über Prophylaxe und Mundhygiene heute dafür, dass die Karieslast bei Kindern und Jugendlichen seit Jahren stark abnimmt. Viele Fachzahnärzte vermuten daher, dass MIH keine neue Erkrankung darstellt, sondern bislang lediglich von herkömmlicher Karies überdeckt wurde. MIH begünstigt im Gegenzug eine Entstehung der Karies, da sich an der vergrößerten Oberfläche der porösen Schmelzschicht vermehrt Bakterien ansiedeln. Zudem bietet der schadhafte Schmelz keinen ausreichenden Schutz vor Säureangriffen mehr und zeigt sich besonders anfällig für die Zahnfäule. Bei einer Karieserkrankung der Milchzähne lagern sich die Bakterien im Kiefer ab und übertragen sich wiederum auf die sich nachbildenden bleibenden Zähne. MIH belastet die Gesundheit der Zähne also doppelt.

Weitere Informationen unter www.dr-lingohr.de